Saarbrücker Zeitung

20.01.1999



Nachts, wenn die roten Augen tränen 

Ein Filmfan, der bei Ophüls zum Marathon-Mann wird: Markus Trapp erlebt das 13. Festival - 27 Filme bis Sonntag 

Ein Festival, viele Blickrichtungen. Aus vier verschiedenen Perspektiven beleuchten wir zum 20. Geburtstag den Ophüls-Preis. Was erlebt das Organisationsteam, wie ergeht es der Jury, wie fühlt sich der ganz normal gestreßte Festivalgast und - zum Auftakt - wie plant ein echter Fan seine Ophüls-Woche? Markus Trapp aus Saarbrücken hat uns in seine Karten schauen lassen.

 - Von SUSANNE BRENNER -

Einmal, erzählt Markus Trapp, lief beim Festival ein Film, in dem ein Mann auf der Herrentoilette einen anderen vergewaltigte. Kurz drauf mußte er selbst mal. "Und da steht der Darsteller des Vergewaltigers plötzlich neben mir am Pinkelbecken. Das", grinst der 33jährige, "sind so Erlebnisse, die hast du nur bei Ophüls." Markus Trapp ist möglicherweise einer der besessensten Filmfreaks, die in diesen ohnehin filmbesessenen Ophüls-Tagen in Saarbrücken herumlaufen. Er fährt auf alle großen Festivals, nach Cannes, Berlin, San Sebastian . . . Eine Zeitlang wollte er sogar selbst Filme machen, hat den Traum aber nach drei Absagen von Filmhochschulen erstmal auf Eis gelegt und arbeitet als Assistent von Professor Neuschäfer an der Saar-Uni, schreibt seine Doktorarbeit über "die mexikanischen Filme von Buñuel" - was sonst? Seit 13 Jahren macht der junge Mann mit den raspelkurzen Haaren den Ophüls-Preis mit. Und zwar nicht etwa so wie unsereins, drei, vier Filmchen am Tag und dann stöhnend in Lolas Bistro abhängen. Iwo. Für 27 Filme hat er sich diesmal Karten besorgt. Von morgens um neun bis nachts um eins wird er im Kino sitzen. "Danach gehe ich natürlich noch in Lolas Bistro" - mit von Nacht zu Nacht röteren Augen. Spätestens am Ende des Festivals hat Markus dann meistens Bindehautentzündung. Aber ein prima Kino-Gefühl im Kopf. "Man ist so schön aufgedreht, wird selbst zur lebendigen Kamera. Ich sitze dann im Bus, beobachte die Leute und mache im Kopf Schnitt und Gegenschnitt." 

Oft sind diese Kopf-Filme besser als das, was im Kino läuft. Von 27 Filmen gefallen Markus normalerweise etwa sieben. Aber aus dem Kino flüchten tut er trotzdem selten. "In all den Jahren bin ich nur zweimal früher raus. Ich denke immer, die haben sich soviel Mühe gegeben." Also gibt er sich auch Mühe - und hält tapfer auch die langatmigsten Filme durch. "Allerdings muß ich sagen, wenn ich vermute, daß mir ein Film sehr viel abverlangt, dann schaue ich mir den gar nicht erst an." Also fallen zum Beispiel all die Filme raus, die im Festivalkatalog mit Sätzen wie "Architekt in der Midlife-Krisis lernt eine junge Malerin kennen . . ." angekündigt werden.

Welche Filme er letztlich auswählt, entscheidet Markus Trapp aus dem Bauch heraus. Auf Empfehlungen verläßt er sich nicht. Nicht mehr. Wie schief das gehen kann, erlebte er nämlich vor fünf Jahren. "Da hatte ich alle Wettbewerbsfilme gesehen - bis auf einen". Von dem hatte ihm ein Bekannter abgeraten. Der Filme hieß "Hochzeitsnacht" und wurde der Gewinner des Ophüls-Preises 1993. Wie zum Hohn traf Trapp dann auch noch bei der Preisverleihung jemanden, "der hatte nur einen einzigen Film gesehen: Hochzeitsnacht". 

Akribisch tüftelt der 33jährige alljährlich sein Programm aus. "Bis zum 20., 21. Film klappt es meistens reibungslos, aber dann geht's los." Wenn Film Nummer 22 zeitlich nicht mehr reinpaßt, dann kommt die Frage, "okay, wenn ich da jetzt Platz mache, welcher Film fällt dann weg, wann kann ich den sonst noch sehen? Es ist eine Kettenreaktion." Damit nach all dem Tüfteln nicht am Ende eine ausverkaufte Vorstellung den ganzen mühsam gebastelten Plan wieder über den Haufen wirft, ist Markus Trapp meistens einer der ersten im Vorverkauf. "Ich mache gleich nachts nach der Blauen Stunde (dem Fest zum Vorverkaufsbeginn) meinen Plan." 

Wie sieht nun Markus Trapps Programm für 1999 aus? In erster Linie interessieren ihn wie alle Ophüls-Fans natürlich die Wettbewerbsfilme. 16 von 18 schaut er sich an. Nur "Ratrace" hat er nicht ausgewählt, "weil ich denke, daß ich den nicht aushalte", und "Requiem für eine romantische Frau" läßt er weg, "weil ich keine Kostümfilme mag". Ansonsten springt der 33jährige kreuz und quer durchs Rahmenprogramm. Kurzfilmprogramme "Die Last mit der Lust" und "Gefährliche Spiele" schaut er an, deutsche "Perspektiven" wie "Die Blume der Hausfrau" und sogar den alten "Werther"-Film von Max Ophüls, "weil ich den noch nicht kenne." 

Einen britischen Film aber hat er aus ganz und gar unfilmischen Motiven auserkoren. "The Man With Rain In His Shoes", das bekennt Markus Trapp freimütig, schaut er sich wegen Hauptdarstellerin Penélope Cruz an. Die junge Frau wurde ihm nämlich vor ein paar Monaten auf einem Festival vom spanischen Regisseur Alejandro Amenábar vorgestellt. Und der sonst wahrhaftig nicht auf den Mund gefallene Markus bekam nach einem Blick in Penélopes schöne Augen buchstäblich keinen Ton mehr raus. "Diesen Film würde ich mir sogar ansehen, wenn er als Experimentalfilm angekündigt wäre, der drei Stunden lang völlige Dunkelheit zeigt, und in der Ecke sitzt Penélope Cruz . . ."

Wer ganz genau wissen will, welche Filme Markus Trapp ausgesucht hat: Der Plan steht auf seiner Homepage im Internet. Adresse:  www.stud.uni-saarland.de/~martra

Markus Trapp
Ab sofort im Ophüls-Fieber
Um kurz nach neun Uhr startet heute das Film-Programm von Markus Trapp. Zwischendurch muß er noch ein paar Stunden arbeiten, und dann geht's weiter mit Kino bis nach Mitternacht.  FOTO: FINE ART